Kieler Erinnerungstag:31. Januar 1975
Wiederaufleben des Kieler Umschlags

Asmus Bremer vor der Nikolaikirche, 2. Februar 1975





Am 25. Januar 1975 luden die Kieler Ratsversammlung, der Stadtpräsident und der Oberbürgermeister in den Kieler Nachrichten erstmals zum Kieler Umschlag ein: „Dem Engagement Kieler Bürger und Kaufleute verdanken wir die Wiedergeburt eines historischen Volksfestes. Der ’Kieler Umschlag’ ist ein Angebot an alle Kieler und ihre Gäste aus nah und fern, in dieser winterlich tristen Zeit drei Tage lang den Alltag zu vergessen und fröhlich zu sein. Die Stadt Kiel freut sich über die Idee, den ’Kieler Umschlag’ wieder aufleben zu lassen und unterstützt diese echte Bürgerinitiative. Unser Wunsch und unsere Bitte, die wir an alle Kieler und Freunde richten: Kommen Sie zum ’Kieler Umschlag’ und feiern Sie mit.“

Vom 31. Januar bis zum 2. Februar 1975 fand der erste Kieler Umschlag der Neuzeit als reines Volksfest statt. Als winterliches Gegenstück zur sommerlichen Kieler Woche sollte er ein Fest sein, an dem sich Kieler und Schleswig-Holsteiner beteiligen. Eine Fördergesellschaft „Lebendiges Kiel“, 1973 gegründet auf Initiative Kieler Kaufleute aus Handel, Dienstleistung und Industrie, nahm sich dieser Idee an. Ihre Aufgabe sah die Gesellschaft darin, für die wirtschaftliche Fortentwicklung Kiels einzutreten und eine lebendige Stadt zu schaffen. Dazu diente die Wiederbelebung des Kieler Umschlages als Volksfest.

Der erste Kieler Umschlag wurde ein voller Erfolg. Vom Holstenplatz bis zum Alten Markt gab es bei zahlreichen Veranstaltungen ein großes Menschengedränge, das mit dem Holstenbummel zur Eröffnung der Kieler Woche verglichen werden konnte. Auch viele Jugendliche waren an dem Umschlag mit Kerbholz-Staffelläufen, einem Flohmarkt und Hobby-Börsen aktiv beteiligt. Am Sonnabend, dem 1. Februar, hatten Schüler sogar einen unterrichtsfreien Tag. Ein buntes Programm mit Schaustellern, Marktschreiern, Zauberkünstlern, musikalischen Darbietungen, abendlichem Umschlagbummel durch Kieler Geschäfte, Tanz in der Holstenstraße, Einweihung des Friedrichsorter Leuchtturms am Bootshafen und dem Tag der offenen Tür im Rathaus boten den Kielern und ihren Gästen eine vielfältige Abwechslung.

Alle Jahre - Kieler Umschlag

Als belebendes Element für die Kieler Innenstadt hat sich der Umschlag bewährt. Er findet jedes Jahr Ende Februar für vier Tage statt.

Stets wird an einem Donnerstag der Alt-Bürgermeister Asmus Bremer (Amtszeit 1702-1720) mit seiner Frau, gespielt von ehrenamtlichen Darstellern, im Warleberger Hof aus dem Schlaf geweckt. Anschließend geht es mit Gefolge zur Nikolaikirche, wo am Turm die Umschlagfahne gehisst wird. Damit ist der Umschlag eröffnet. Die gesamte Fußgängerzone und der Rathausplatz sind Ort des festlichen Geschehens. Auf dem Alten Markt ist ein ein historisches Dorf aufgebaut u. a. mit Korbflechtern, Schmieden und Keramikern, die die Besucher in mittelalterliche Stimmung versetzen. Außerdem gibt es Fahrgeschäfte und Gastronomiestände, die zu kulinarischen Köstlichkeiten einladen. Und so freuen sich die Kieler auf das alljährliche winterliche Altstadtfest.

Ursprünglich ein Geldmarkt

Ursprünglich war der Kieler Umschlag ein Geld- und Kreditmarkt, der während seiner Blütezeit von internationale Bedeutung war. Kiel hatte mit dem Umschlag Lübeck den Rang abgelaufen als Börse für Schleswig-Holstein und Jütland und war in Deutschland und im Ausland weithin bekannt. Der Name leitet sich von dem mittelniederdeutschen „ummeslag“ ab, d. h. Wechsel, Tauschen, Geschäft, Handel. Und hierbei ging es bei dem Umschlag. Es wurden Kredite aufgenommen und zurückgezahlt, Zinsen und Schulden beglichen. Dieser Geldmarkt entstand um die Mitte des 15. Jahrhunderts und fand zunächst zu wechselnden Terminen statt. Genannt werden Michaelis (29.9.), Martini (11.11.), Dreikönige (6.1.), Lichtmess (2.2.), Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, Weihnachten. Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert fand der Umschlag dann in der Woche nach dem Dreikönigstag statt, also vom 6. bis zum 14. Januar. Er war in erster Linie Geld- und Geschäftstermin des schleswig-holsteinischen Adels. Damals war das Reisen auf den schlechten Wegen beschwerlich und mit Geld im Gepäck außerdem gefährlich. Statt sich auf ihren jeweiligen Landsitzen aufzusuchen, war es für die Adligen bequemer, sich an einem gemeinsamen Ort zu treffen. Dafür bot sich Kiel an, denn hier hatten bedeutende Adelsfamilie ihre winterliche Residenz.

Die Stadt wurde zum Treffpunkt des unternehmerischen Adels, der durch die Bewirtschaftung seiner Güter, durch Handel und durch Kriege reich geworden war und häufig Gläubiger von Fürsten, z. B. des deutschen Kaisers, der Könige von Spanien und England, und von Kaufleuten deutscher Städte war. Auf dem Umschlag wurden Käufe und Verkäufe, Erbschaften und Schenkungen, Leihgeschäfte, Verpfändungen und Verpachtungen, Zehnt- und anderen Abgaben in großem Umfang abgewickelt; zunächst vor allem durch den Adel, seit dem 18. Jahrhundert dann auch durch das Bürgertum. Die Besucher reisten mit Koffern, Säcken, Kisten und Tonnen voller Silbermünzen an, denn in den Herzogtümern gab es damals noch kein Papiergeld. Alle Umsätze fanden in Silber statt. So sah man während des Umschlages Diener und Kutscher Geld auf Schultern, Karren oder Wagen durch Kiel transportieren.

Keine Gnade für säumige Schuldner

Am 6. Januar, dem Tag der Heiligen Drei Könige, nachmittags um 4 Uhr begann der Umschlag mit dem Aufhängen der Marktfahne an der Kirche. Sie wurde „den Börgermeister sin Büx“ genannt. Der Name kommt wahrscheinlich daher, dass die Fahne ursprünglich aus Stoff war und womöglich zwei Zipfel hatte, die von fern wie Beine wirkten. Wenn sie nun oben am Turm im Wind flatterten, sah das aus, als hinge eine Hose heraus. Vielleicht war auch die Form des Kieler Stadtwappens auf der Fahne Ursache für die Namensgebung. Das weiße Nesselblatt in der Mitte des Wappens ragte in die rote Fläche hinein und teilte sie in zwei Streifen, die wie Hosenbeine erscheinen mochten.

Nach dem feierliche Läuten der Kirchenglocken begannen die Zahltage, die bis zum 14. Januar um 4 Uhr andauerten. Daran schlossen sich noch drei „Respittage“ (Stundungstage) an für schwache Zahler, so dass der Geldmarkt praktisch bis zum 17. Januar währte.

Das internationale Ansehen des Umschlages wurde dadurch gefestigt, dass den zahlungsunfähigen und unwilligen Schuldnern das „Einlager“ drohte, das offiziell erst 1864 beseitigt wurde. Der säumige Schuldner musste bis zur Tilgung der Schulden in den persönlichen Arrest, und zwar in einer vom Gläubiger zu bestimmenden „ehrlichen Herberge“. Selbst hochgestellte Persönlichkeiten waren davon nicht ausgenommen, so der Propst von Odense. Das „Einlager“ bedeutete Ehrverlust und hatte gesellschaftliche Folgen, war für die Gläubiger aber ein wirksames Mittel, zu ihrem Recht zu kommen. So hieß es 1661, „das Einlager gereicht dem Land zur Ehre und machet seinen Credit blühen.“

Der Umschlag - auch ein Waren- und Vergnügungsmarkt

Um das Geldgeschäft nicht durch buntes Treiben zu stören, fand erst im Anschluss an die Zahltage bis zum 2. Februar der Umschlagmarkt statt, zu dem Händler von weit her kamen, weil sie sich gute Geschäfte versprachen. Sie boten ihre Waren in Buden auf dem Markt, unter den Rathausschrangen, sogar auf dem Nikolaikirchhof, in der Kirche selbst und in der Holstenstraße feil. Es waren Dinge des täglichen Bedarfs, aber auch edler Schmuck, kostbare Stoffe wie Batist, Seide, Brüsseler Spitze, dazu Parfums, Kosmetika, Bücher, Bilder, exotische Gewürze, Walnüsse, Pfirsiche, Aprikosen und süße Näschereien. Es gab alles das zu kaufen, was sonst in Kiel nicht zu haben war.

Man konnten sich auch vergnügen Der Vergnügungsmarkt war bei der Bevölkerung am beliebtesten. Das Angebot reichte von einfacher Volksbelustigung bis zur ernsten Unterhaltung. Komödianten, Gaukler, Seiltänzer, Wunderdoktoren, Losverkäufer, Musiker und Bauchredner lockten Kieler und die Bewohner des ländlichen Umlands an. Auch reisende Theatergesellschaften traten auf, zunächst meist in Possen und Hans-Wurst-Komödien. Im Laufe der Zeit kamen aber auch ernst zunehmende Schauspielergruppen. 1694 hatte die Hamburger Oper das erste Gastspiel zum Kieler Umschlag. 1736, 1738 und 1739 trat die Neuberin im Rathaus und im Tanzsaal an der Ecke Dänische Straße-Markt auf. Sie war berühmt, weil sie dem Hanswurst den Kampf angesagt hatte und begann, anspruchsvolle Stücke zu spielen. Der im Schloss residierende Herzog Karl Friedrich hatte Gefallen an diesen Aufführungen.

Ein Magnet für die Kriminellen

Wenn die Glocken der Nikolaikirche den Umschlag einläuteten, sagten die Kieler: „Nun ward Schelm und Deef (Diebe) inlött (eingeläutet)“. Denn auch Gauner, Diebe und Verbrecher kamen zur Umschlagszeit nach Kiel und verunsicherten die Stadt. Häufig waren auch Adlige an Tumulten, Raufhändeln und Blutvergießen beteiligt, aber nur schwer zu belangen. Um abschreckend zu wirken, wurde im Jahre 1577 z. B. ein Dieb enthauptet, zwei andere gehängt und einem professionellem Mörder die Gliedmaßen zuerst mit dem Rad gebrochen und er dann anschließend auf das Rad geflochten „up dat dem rechten ein genügen geschehe und he et nicht mehr dohe (tue), andern tom afschu (Abscheu) und tom exempel“.

Eine neue Zeit - Untergang des Umschlags

Mit der Industrialisierung und dem modernen Bankwesen verlor der Umschlag seine Bedeutung. Der Geldmarkt kam um 1900 völlig zum Erliegen. Schulden wurden durch Banken oder die Post beglichen. Möglich wurde dies in Kiel, als Wilhelm Ahlmann 1852 in der Stadt eine Bank gegründet hatte, der in preußischer Zeit weitere folgten. Rechtsanwälte und Banken regelten nun die Geldgeschäfte vor allem für die Gutsbesitzer, die folglich nicht mehr persönlich zum Umschlag erscheinen mussten. Außerdem war durch die Banken der bargeldlose Zahlungsverkehr möglich geworden. Hinzu kam, dass ganzjährige Zahlungstermine unbequem und überholt waren, nachdem der Staat, Kommunen und Kaufleute zu halb- und vierteljährlichen Zahlungen übergegangen waren. So brachte die neue Zeit den Untergang des Geldmarktes.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte auch der Warenmarkt Schwierigkeiten. Ladengeschäfte entstanden in der Stadt und auf dem Lande, die dieselben Waren anboten wie die fremden Kaufleute zum Umschlag, die nach und nach deshalb nicht mehr nach Kiel kamen. Der Warenmarkt entwickelte sich allmählich zum Jahrmarkt mit Krambuden. Nur der Vergnügungsmarkt blieb noch einige Zeit bestehen. 1911 wurde die Umschlagfahne das letzte Mal herausgehängt, obgleich sie damals nicht mehr die alte Bedeutung hatte. 1912 ist es dann mit dem alten Brauch vorbei. Der Umschlag hatte sich überlebt.

Zwischen den Weltkriegen wurde versucht, den Umschlag in anderer Form wieder aufleben zu lassen. Bauern und Handwerker kamen zu den früheren Umschlagtagen nach Kiel, um mit Kaufleuten ihre Geschäfte abzuwickeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte die Tradition des Umschlages in der jährlichen Zusammenkunft Kieler Kaufleute fort. Seit 1949 traf sich die Vereinigung Kieler Kaufleute zu einem Umschlag-Essen mit dem Ziel, den Kontakt zur schleswig-holsteinischen Landwirtschaft zu pflegen. Seit 1975 aber ist der Kieler Umschlag eine Volksveranstaltung und ein Treffpunkt für Jung und Alt.

Autorin: Christa Geckeler (1937 - 2014)


Literatur

Gloy, Arthur

Aus Kiels Vergangenheit und Gegenwart, Kiel 1926, S. 66-74

Haas, Walter

Bestrebungen und Maßnahmen zur Förderung des Kieler Handels in Vergangenheit und Gegenwart (1242-1914), Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 31, 1922, S. 25 ff., S. 159 f.

Jensen, Jürgen

Der Kieler Umschlag, in: Geschichte der Stadt Kiel, hrsg. von Jürgen Jensen und Peter Wulf, Neumünster 1991, S. 59-64

Kaufmann, Gerhard

Das alte Kiel. Von der Stadtgründung bis an die Schwelle zur Gegenwart, Hamburg 1975, S. 107 f.

Lorenz, August

Ein halbes Jahrtausend Kieler Umschlag, Kiel 1965

Zeitungen

Kieler Nachrichten

vom 12. Januar 1974, vom 1. Juni 1974, vom 3. Juli 1974, vom 4. Juli 1974, vom 25. Januar 1975, vom 28. Januar 1975



Dieser Artikel kann unter Angabe des Namens der Autorin Christa Geckeler, des Titels Kieler Erinnerungstage: 31. Januar 1975 | Wiederaufleben des Kieler Umschlags und des Erscheinungsdatums 30. Januar 2010 zitiert werden.

Zitierlink: https://www.kiel.de/erinnerungstage?id=110

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