Kieler Erinnerungstag:5. März 1910
Einweihung der Gablenzbrücke

Die Bögen der Gablenzbrücke gehören zum Stadtbild von Kiel wie der Rathausturm und der Hafen mit seinen Schiffen und den Portalkränen. Eingeweiht wurde die Brücke am 5. März 1910.

Kiel entwickelt sich zur Großstadt

Der Brückenbau fällt in die Zeit, als Kiel sich seit 1850 von einer Kleinstadt mit etwa 16 000 Einwohnern, die von Handel, Gewerbe und Handwerk lebten, zu einer Großstadt entwickelt hatte.

Die Verlegung der preußischen Marinestation 1865 an die Förde, für manche Historiker die „zweite Stadtgründung“, und die Ernennung zum Reichskriegshafen 1871 leiteten eine völlig neue Entwicklung der Stadt ein. Kiel wuchs in einem rasanten Tempo. Bereits im Jahre 1900 hatte es mehr als 100 000 Einwohner und 1914 schon über 200 000. Nicht nur aus den umliegenden Dörfern, sondern aus allen Teilen des Reiches zogen Arbeitskräfte mit ihren Familien in die Stadt. Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch die Werften und die Kriegsmarine. Auf dem Ostufer entstanden drei große Werften: die Howaldtswerke, die Kaiserliche Werft und die Krupp-Germaniawerft. Ihr folgte die Ansiedlung vielfältiger Zulieferbetriebe für den Schiffbau.

Mit der Bevölkerungszunahme Kiels wuchs auch das Stadtgebiet. Während die Altstadt ihre Wohnfunktion im Wesentlichen verlor und den Charakter einer City mit Einrichtungen von Handel und Verwaltung annahm, entstanden neue Wohngebiete im Norden, Westen und Südwesten der Stadt. Auf dem Ostufer, wo die großen Werften lagen, wandelten sich die ehemaligen Dörfer von Gaarden bis Neumühlen-Dietrichsdorf zu Stadtteilen von Kiel. Für die wachsende Zahl der Arbeiter, Handwerker und kleinen Angestellten entstanden vor allem in Gaarden, aber auch im Westen der Stadt (z. B. um den Exerzier- und Wilhelmplatz, in der Gutenbergstraße) und im Südwesten (z. B. Harmsstraße, Lutherstraße) große Mietshaus-Komplexe mit einfachen 2-3 Zimmerwohnungen. Um die Bevölkerung zu versorgen, musste auch die Infrastruktur ausgebaut werden. Dazu gehörte der Bahnhof.

Die Eisenbahn behindert den innerstädtischen Verkehr

1844 war die Eisenbahnlinie Kiel-Altona eingeweiht worden, 1846 der Bahnhof an der Klinke, dem heutigen Stresemannplatz. Mit dem Wachstum Kiels und dem zunehmenden Güter- und Personenverkehr war dieser Bahnhof den neuen Anforderungen nicht mehr gewachsen. Hinzu kam, dass die Gleisanlagen immer mehr zu einem Verkehrshindernis wurden. Sie bildeten einen Riegel für die neuen südwestlichen Teile der Stadt. Nur die Ringstraße führte noch für Pferd und Wagen zum Hafen und damit über die Kaistraße zu den Werften auf dem Ostufer. Die Hafengasse diente lediglich dem Fußverkehr zur Förde und zu den Fähren auf das Ostufer. Ein neuer Bahnhof war daher notwendig.

Nach längeren Diskussionen zwischen der Stadt Kiel und der Eisenbahngesellschaft über den Standort des neuen Bahnhofs fand das „Lerchen-/Ringstraßen-Projekt“ die Zustimmung. So sollte der Bahnhof an seiner heutigen Stelle zwischen verlängerter Lerchenstraße (heute Raiffeisenstraße) im Norden, der Kaistraße im Osten, dem Sophienblatt im Westen und der St. Jürgen-Kapelle im Süden entstehen. 1899 wurde der westliche Teil des Bahnhofs eingeweiht, 1911 die Bauarbeiten abgeschlossen.

Damit aber hatte sich die Verkehrsverbindung zum Hafen und zum Ostufer weiter verschlechtert. Im Verwaltungsbericht der Stadt Kiel heißt es dazu: „Durch den in den Jahren 1896-1899 erfolgten Umbau der Bahnhofsanlagen war die Ringstraße, die bisher als Hauptstraße den Verkehr zwischen dem Hafen und Gaarden einerseits und dem südwestlichen Stadtteile andererseits vermittelt hatte, in ihrem unteren Teil der Fahrstraße eingegangen. Als Ersatz dafür hatte zwar die Eisenbahnverwaltung unter dem Bahnkörper eine Tunnelanlage geschaffen, deren Ausgestaltung für den Fuhrwerksverkehr indessen aus finanziellen und technischen Gründen unmöglich war. Die hierdurch für die südlichen Stadtteile entstandenen schlechten Verkehrsverhältnisse mussten, falls nicht wirtschaftliche Schädigungen des Südens eintreten sollten, um so schneller beseitigt werden, als um dieselbe Zeit die Krupp’sche Werft ihre Anlagen an der Ostseite der Hörn beträchtlich vergrößerte und dadurch namentlich den südlichen Stadtteilen einen größeren Zuwachs brachte.“

Wer also zum Hafen oder auf das Ostufer wollte, konnte als Fußgänger zu den Fähren durch den Tunnel gehen. Gespanne aber, die nach Gaarden wollten, mussten nördlich des Bahnhofs auf die Kaistraße fahren oder einen langen Umweg über die Alte Lübecker Chaussee in Kauf nehmen.

Über die Hummelwiesenbrücke zum Ostufer

Sollte der Verkehr im Süden der Stadt zum Hafen und zum Ostufer nicht weiter behindert werden, musste eine Brücke über die Gleisanlagen errichtet werden.

Nach langen Verhandlungen zwischen der Eisenbahngesellschaft und der Stadt Kiel wurde im April 1907 der Vertrag zwischen der Stadt und der Eisenbahndirektion Altona geschlossen. Kiel musste allein für den Bau und den Unterhalt der Brücke aufkommen. Dem Eisenbahnfiskus dagegen durften keine Nachteile entstehen und ohne ihre Einwilligung keine Änderungen an der Brücke vorgenommen werden.

Die Brücke bestand aus vier Bauwerken: der Fachwerkbogenbrücke über die Gleise, der Stahlträgerbrücke über die Bahnhofstraße und weitere Gleise, der Stahlbetonbrücke zwischen Gaardener Straße und der früheren Viehdrift zum Schlachthof und der Rampe als Zufahrt zur Brücke von Osten. Obwohl die Verhandlungen zwischen den Vertragspartner noch nicht abgeschlossen waren, begann 1906 der Bau der Stahlbetonbrücke und der Rampe. Die Arbeiten gestalteten sich schwierig, weil einerseits die Stahlbetonweise noch in den Anfängen steckte und zum andern der sumpfige Untergrund beim Bau der Stützmauer für die Rampe Probleme bereitete. 1908/09 wurde die Bogenbrücke aus Stahl errichtet. Statt einer Balkenbrücke hatte die Konstruktion der Bogenbrücke den Vorteil, dass sie nur mit zwei Pfeilern aus Eisen und Eisenbeton auskam und man daher das Bahngelände so wenig wie möglich in Anspruch nehmen musste.

Am 5. März 1910 fand die offizielle Einweihung der Hummelwiesenbrücke, wie sie zunächst heißen sollte, in Anwesenheit des damaligen Oberbürgermeisters Paul Fuß statt. Die Kieler Zeitung berichtet an diesem Tag: „Die Ueberbrückung bei der Hummelwiese nach Gaarden ist im großen und ganzen fertig. Auf der gewaltigen Brücke mit dem hohen Bogen sind nur noch einzelne Arbeiter beschäftigt an der Pflasterung bei den Bahnschienen und bei den Aufgängen. Die neue Brücke wird schon viel von den Personen genutzt, die in Gaarden beschäftigt sind.“

Am 16. April 1910 erfolgte die Belastbarkeitsprüfung und die Freigabe der Brücke für den Verkehr. Aber „der Wert des neuen Brückenbauwerks wird erst dann zur vollen Bedeutung kommen, wenn die in der Verlängerung der Brücke geplante neue Hauptverkehrsstraße nach Gaarden ausgebaut ist und zweckmäßige Straßen nach dem südwestlichen Stadtteile in der Forsetzung der Hummelwiese angelegt sein werden“, hieß es im Verwaltungsbericht der Stadt.

Die neue Brücke wurde für Kiel ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, denn sie verband die westlichen Stadtteile mit dem Ostufer, auf dem Tausende von Menschen auf den Werften arbeiteten. Um 1910 passierten täglich 7000 Menschen die Brücke zu Fuß oder auf dem Fahrrad. Hinzu kamen Droschken und Fuhrwerke. Seit Juni 1914 fuhr auch die Straßenbahn über die neue Brücke.

Aus der Hummelwiesenbrücke wird die Gablenzbrücke

Die Brücke, die ursprünglich Hummelwiesenbrücke heißen sollte, wurde 1914 in Gablenzbrücke benannt. Am 9. Juni 1914 genehmigten die Stadtkollegien den Antrag der Tiefbaukommission, die Brücke und die Verbindungsstraße zwischen Sophienblatt und der Werftstraße nach dem österreichischen Feldmarschall-Leutnant Ludwig Freiherr von Gablenz zu benennen. Dieser residierte 1865/66 für neun Monate als österreichischer Statthalter im Kieler Schloss.

Nach der Niederlage Dänemarks gegen Preußen und Österreich 1864 gingen Schleswig und Holstein an die Sieger über. Beide übten die Regierungsgewalt in den Herzogtümern gemeinsam aus. Da es zu Konflikten zwischen den Siegern kam, wurde 1865 die Konvention von Gastein geschlossen. Österreich bekam die Verwaltung von Holstein, Preußen die von Schleswig. Kiel wurde eine geteilte Stadt. Im Ostteil waren preußische Truppen, im Westteil österreichische stationiert. Preußischer Gouverneur für das Herzogtum Schleswig wurde Generalleutnant Edwin von Manteuffel mit Amtssitz auf Schloss Gottorf. Freiherr Ludwig von Gablenz war Statthalter für das Herzogtum Holstein. Am 15. September 1865 nahm er seinen Dienst im Kieler Schloss auf. Gablenz war bei den Kielern wegen seines Charmes sehr beliebt. Er gewann auch ihr Vertrauen und ihre Anerkennung als hervorragender Verwaltungsfachmann und erhielt im Volksmund den Beinamen „Fürst von Kiel“. Als Gablenz wegen der zunehmenden Spannung zwischen Preußen und Österreich am Morgen des 12. Juni 1866 Kiel verlassen musste, fanden sich Hunderte am Bahnhof ein, und ein Musikkorps des preußischen Seebataillons spielte ihm zu Ehren die Kaiserhymne der Donaumonarchie.

Probleme durch zunehmende Motorisierung und Alter

Bis auf Schäden an der östlichen Stahlbetonrampe hatte die Gablenzbrücke den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden. Nach wie vor war sie die wichtigste Verbindung zwischen den westlichen und östlichen Stadtteilen Kiels und gleichzeitig Teil der Bundesstraße 76 von Flensburg nach Lübeck.

Aber die Brücke zeigte Schäden an der Stahlkonstruktion und Rost an den Eisen der Fahrbahn. Die Ratsversammlung beschloss 1954, mit der dringend erforderlichen Sanierung die Brücke gleichzeitig zu verbreitern und zu verstärken. Bei der zunehmenden Verkehrsdichte musste sie den modernen Verkehrsverhältnissen angepasst werden. Der nördliche Hauptträger wurde um 4,80 Meter zum Bahnhof versetzt und die Trasse damit auf 22,8 Meter verbreitert. Zur damaligen Zeit eine technische Sensation, dass man einen einzelnen Träger in der Größe von 230 Tonnen verschob. 1956 wurde die umgebaute Brücke für den Verkehr freigegeben.

Auch in den folgenden Jahren mussten ständig Reparaturarbeiten an der Brücke vorgenommen werden, die durch den zunehmenden Berufsverkehr stark in Anspruch genommen wurde. Außerdem wurde die Brücke 1992/1993 um 160 Tonnen erleichtert, um den neuesten Sicherheitsvorschriften zu entsprechen. Geld für eine komplett zu renovierende Brücke hatte Kiel aber nicht, obwohl Rostschäden in den Stahlteilen und Risse im Beton sichtbar waren.

Die neue Bogenbrücke

1995 ergab eine Prüfung, dass die vierteilige Gablenzbrücke in einem desolaten Zustand war. 1997 mussten die beiden äußeren Fahrspuren gesperrt werden. Die Stadt schloss eine erneute Sanierung der Brücke aus, da Kiel sie allein hätte finanzieren müssen und die Lebenslänge des Bauwerks höchstens um weitere 20 bis 25 Jahre verlängert worden wäre. Auch der Verkehrsbelastung konnte die Brücke nicht angepasst werden. Obwohl inzwischen die Friesenbrücke existiert, hat die Gablenzbrücke immer noch eine bedeutende Funktion im innerstädtischen Verkehr. 2006 fuhren täglich etwa 22 000 Kraftfahrzeuge über die Brücke, was über 20% des Individualverkehrs zwischen Ost- und Westufer bedeutete. Auch im öffentlichen Personennahverkehr spielt die Brücke eine erhebliche Rolle, denn über sie fahren täglich 14 Buslinien mit mehr als 70 Bussen in den Spitzenstunden.

Seit 1995 wurden Konzepte für den Neubau der Brücke entwickelt, im Jahre 2000 in der Ratsversammlung die Erneuerung beschlossen. Ursprünglich sollte eine Balkenbrücken mit Stützpfeilern im Bahngebiet die alte Bogenbrücke ersetzen. Doch stellte sich heraus, dass eine Bogenlösung wirtschaftlicher war. Denn es hätte während der Bauzeit ein Schienenersatzverkehr eingerichtet werden müssen, dessen Kosten Kiel zu tragen hatte. Zur Freude der Kieler wurde daher die Bogenbrücke, die charakteristisch für das Stadtbild ist, erhalten. Aber die neuen Bögen sind kleiner geworden, nur 70 Meter lang und damit 23 Meter kürzer als die alten. Auch ist die Linienführung klarer.

Im Juni 2006 begannen die Bauarbeiten, zu deren Höhepunkten der Verschub der alten Bogenbrücke und des neuen Bogens gehörte. Bis zum Sommer 2008 gab es die alte Brücke noch. Seit März 2007 entstand neben dem alten der neue Bogen, der im Herbst 2008 in die endgültige Position verschoben wurde. Im November 2008 führte der Verkehr über die neue Brücke. Am 14. Juni 2009 fand die offizielle Einweihung durch die Kieler Oberbürgermeisterin und den Verkehrsminister statt. Zur Erinnerung an die Anfänge der Gablenzbrücke vor 99 Jahren nahmen Statisten des Theaters in historischen Kostümen und ein Autokorso von Oldtimer an der Feier teil.

Autorin: Christa Geckeler (1937 - 2014)


Quellen

Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt Kiel

in der Zeit vom 1. April 1906 bis zum 31. März 1911, Kiel 1912, S. 233-238

Protokoll

der 7. öffentlichen Sitzung der Stadtkollegien auf dem Rathause, Kiel, d. 9. Juni 1914

Literatur

Dierck, Ingo und Müller, Ralph

100 Jahre Hauptbahnhof Kiel, 1999

Seiler-Kroll, Katrin und Weißel, Udo

Gablenzbrücke. Der Kieler Bogen. Technik, Architektur, Geschichte, Hg.: Landeshauptstadt Kiel, Neumünster 2009

Zeitungen:

INKIEL

21/2006

Kieler Express

vom 8. Dezember 1983, vom 12. Juni 2002, vom 28. Januar 2004, vom 17. Juni 2009

Kieler Nachrichten

vom 25. Mai 1956, vom 6. Juli 1956, vom 20. Dezember 1977, vom 11. Juli 1987, vom 30. Juni 1992, vom 21. Oktober 1992, vom 26. Mai 2000, vom 1. Dezember 2004, vom 2. August 2005, vom 10. Juni 2009, vom 15. Juni 2009



Dieser Artikel kann unter Angabe des Namens der Autorin Christa Geckeler, des Titels Kieler Erinnerungstage: 5. März 1910 | Einweihung der Gablenzbrücke und des Erscheinungsdatums 05. März 2010 zitiert werden.

Zitierlink: https://www.kiel.de/erinnerungstage?id=112

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