Kieler Erinnerungstag:1. Dezember 1973
Die Dänische Straße wird Fußgängerzone

Am ersten Sonnabend der Vorweihnachtszeit, am 1. Dezember 1973, um 10.30 Uhr durchschnitt Stadtpräsidentin Ida Hinz das weiße Band an der Dänischen Straße und gab sie als Fußgängerzone frei. Die Interessengemeinschaft Dänische Straße hatte sich zusammen mit der städtischen Bauverwaltung und den Stadtwerken aktiv an der Umgestaltung der Straße beteiligt. Auch die Baukosten von ca. 200 000 DM wurden z. T. durch die Anlieger finanziert.

Umgestaltung in drei Monaten

Nach nur drei Monaten war die Umgestaltung der Straße abgeschlossen.

Im Warleberger Hof fand am 1. Dezember ein Umtrunk statt, zu dem die Stadt eingeladen hatte. Die Interessengemeinschaft hatte dazu Rotweinpunsch und Berliner Pfannkuchen gestiftet. Der Buchbindermeister Fritz Castagne, der Inhaber eines alt eingesessenen Geschäftes in der Dänischen Straße, erzählte den Gästen aus der Vergangenheit der Straße. Ab 12 Uhr wurde im Schloss Erbsensuppe serviert. Bei einem ungestörten Bummel durch die neue Fußgängerzone erwarteten die Besucher manch Überraschungen der Geschäftsleute, die vor ihren Läden viele kleine Stände aufgebaut hatten.

Die Dänische Straße ist eine der wenigen Straßen in der Kieler Innenstadt, in der sich alte Bausubstanz aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erhalten hat. Hier steht das älteste Wohnhaus der Stadt, der Warleberger Hof, heute Stadtmuseum. Um den „historischen Anstrich“ der Fußgängerzone zu betonen, sammelten die Anlieger 1981 für alte Eisenpfosten und und Nachgüsse alter Straßenlaternen, die in der Straße installiert wurden. Die Ecke zur Falckstraße ziert ein alter Kandelaber von 1856, das letzte Exemplar der Kieler Gasbeleuchtung.

Mit der Dänischen Straße im Norden der Innenstadt reichte die Fußgängerzone 1973 über den Alten Markt und die Holstenstraße bis zur Schevenbrücke im Süden, einbezogen war der Rathausplatz.

Die Holstenstraße - die älteste Fußgängerzone der Bundesrepublik

„Wer es häufig miterlebt hat, wie sich in den Abenstunden die Menschen auf viel zu schmalen Bürgersteigen gedrängt, geschoben und gestoßen, dazu in steter Sorge, von Fahrzeugen erfasst zu werden, fortbewegen, kann diesen Zustand nicht als angenehm bezeichnen“, stellte Stadtbaudirektor Herbert Jensen 1941 in seiner Schrift „Umbau der Stadt Kiel“ fest. Die Holstenstraße sei als Verkehrsstraße nicht geeignet, urteilte Jensen. Daher müsse man sich darauf einstellen, die Straße „vom Fahrzeugverkehr mehr und mehr zu entlasten“. Letztlich sollte auch die Straßenbahn aus der Straße herausgenommen werden, so dass „die Altstadtstraßen, abgesehen von geringem Anliegerverkehr, ganz dem Fußgänger gewidmet werden können.“

Kiel war im Krieg zu 75% zerstört worden. In der Holstenstraße standen nur noch weniger Häuser. Durch zumeist zwei- und dreigeschossige Neubauten wurden nach dem Krieg die Baulücken geschlossen. Um die Hauptgeschäftsstraße vom Fahrzeugverkehr zu entlasten, entstand eine völlig neue Verkehrssachse parallel zur Holstenstraße. 1950 wurde sie als „Neue Straße“ eingeweiht, nach dem Tode von Oberbürgermeister Gayk in Andreas-Gayk-Straße umbenannt.

Schon 1947 war die Holstenstraße im Generalbebauungsplan der Stadt als Fußgängerzone ausgewiesen worden. Im Juni 1950 wurde die obere Holstenstraße von 7 bis 22 Uhr für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt. Zwar fuhren die Straßenbahnen noch hindurch, und es gab die Fahrbahnen zwischen den Gehwegen, aber die erste Fußgängerzone Deutschlands war entstanden. Eine offizielle Eröffnung fand nicht statt. Am 15. März 1951 beschloss die Ratsversammlung, die Straßenbahnen über Wall und Pfaffenstraße statt durch die Holstenstraße zum Alten Markt zu führen. Am 6. Dezember 1953 war es dann soweit. Mit der Verlegung der Straßenbahnlinien 1 und 9 konnte die Fußgängerzone in der oberen Holstenstraße vom Alten Markt bis zu Hafenstraße, frei von jeglichem Fahrzeugverkehr, feierlich eröffnet werden.

Kiel würdigt dieses Datum als Geburtsstunde ihrer Fußgängerzone als erste in Deutschland. Sie steht damit im Wettstreit mit der Stadt Kassel, die ihre „Treppenstraße“ im November 1953 einweihte. Sie aber ist eine terrassierte Einkaufsstraße, die neu entstand und in der es nie Autoverkehr gab.

Gewinn für Käufer und Geschäftsleute

Nachdem Bordsteinkanten und Gleise aus der oberen Holstenstraße 1955/56 verschwanden und die Fußgängerzone auf gleichem Niveau mit Platten belegt war, fand sie bei der Bevölkerung großen Anklang. Auch der Protest der Geschäftsleute hatte sich gelegt, hatten sie doch Umsatzeinbußen befürchtet. Aber das Gegenteil stellte sich heraus. Die Umsätze stiegen um 30 bis 50%. Nun setzten sich die Anlieger der unteren Holstenstraße dafür ein, die Fußgängerzone nach Süden zu verlängern. Im Oktober 1958 wurde jeglicher Fahrzeugverkehr aus der Holstenstraße bis zur Schevenbrücke herausgenommen. Mit der Fertigstellung des Sophienhofes im Jahr 1988 reichte die Fußgängerzone bis zu diesem Einkaufszentrum. Damit hatte der Fußgängerbereich in der Kieler Innenstadt vom Sophienhof bis zur Dänischen Straße eine Länge von 1,1 km.

Krise der Fußgängerzonen

Die FAZ am Sonntag, d. 7. Dezember 2003 veröffentlichte einen Artikel unter der Überschrift: „Die Ruhe nach der Zerstörungskonkurrenz. In Kiel begann die Nachkriegsrevolution: Die Fußgängerzone wird 50 Jahre alt - und ist vielerorts am Ende ihrer Kräfte.“ Der Autor Wulf Schmiese kommt zu dem Ergebnis: „Der Jubilarin geht es dreckig: Deutschlands erster Fußgängerzone, die den Verkehr abgedrosselt hat, geht langsam selber die Luft aus. Sie leidet wie so viele, die nach ihr gebaut wurden, am Käuferschwund und architektonischer Verwahrlosung. Filialisten prägen die Tristesse. Es fehlt ’der so wichtige Branchenmix’.“ Geschäfte in der Innenstadt müssten schließen, weil der Umsatz zu gering und die Mieten zu hoch seien. Billigläden lösten sich in schneller Reihenfolge ab. Es gebe auch zu viel Verkaufsflächen, vor allem außerhalb der Innenstädte, die für die Kunden mit dem Auto gut zu erreichen seien, weil ausreichend Parkplätze zur Verfügung stünden. „Nun müssten Politiker, Handel und Vermieter sich gegenseitig helfen, die Zentren flottzumachen“, so Schmiese. In Kiel gibt es seit langem Diskussionen zu diesem Thema.

Die Dänische Straße jedoch hat an Attraktivität bisher nicht verloren. Hier gibt es keine Billigläden, sondern Fachgeschäfte, auch exklusive. Die Straße wird durch die Anlieger liebevoll gestaltet, die auch gemeinsame Aktionen durchführen, um die Beliebheit dieser Straße bei den Kielern zu erhalten.

Autorin: Christa Geckeler (1937 - 2014)


Literatur

Briel, Jutta

Fußgängerzone Holstenstraße; das „neue Stadterlebnis“, Kiel 2003, Maschinenschrift, Stadtarchiv Kiel

Der alte Markt mausert sich zum Tummelplatz für Seh- und Kaufleute,

in: Magazin für Wirtschaft und Politik, 1/75, S. 7-9

Klinck, Monika

Die Holstenstraße in Kiel - nördlicher Teil. Eine stadtgeographische Untersuchung, Staatsexamensarbeit, Kiel 1977, Stadtarchiv Kiel

Rosenplänter Johannes

Die Kieler Holstenstraße: Zu Fuß durch die 50er Jahre, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 84, 2007-2009, S. 34-48

Zeitungen

Frankfurter Allgemeine Zeitung

vom 7. Dezember 2003

Kieler Nachrichten

vom 28. November 1953, vom 20. November 1957, vom 27. November 1973, vom 3. Dezember 1973, vom 10. September 1981, vom 21. Oktober 2006



Dieser Artikel kann unter Angabe des Namens der Autorin Christa Geckeler, des Titels Kieler Erinnerungstage: 1. Dezember 1973 | Die Dänische Straße wird Fußgängerzone und des Erscheinungsdatums 01. Dezember 2013 zitiert werden.

Zitierlink: https://www.kiel.de/erinnerungstage?id=252

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