Grußwort von Eckhard Sauerbaum

gehalten als Stadtpräsident anlässlich der Übergabe des künstlerischen Zeichens zur Erinnerung "an die Ereignisse im November 1918 in Kiel" am 16. Juni 1982

Wir haben soeben den Versuch erfahren, die Ereignisse im November 1918 in Kiel aus der Sicht eines Historikers zu würdigen. Ein Versuch der Versachlichung als vorläufiger Schlusspunkt einer leidenschaftlich geführten Diskussion!

Blenden wir zurück. Im April 1978 beschloss die Ratsversammlung in ihrer früheren Zusammensetzung mit einer Stimme Mehrheit ein Erinnerungszeichen zu schaffen. In Vollzug dieser politischen Willensbildung wurden Verträge geschlossen, der Künstler beauftragt, das Werk geschaffen, der Aufstellungsort ausgesucht, die Gelder bewilligt und ausgegeben.

Die vom Entscheidungsbeginn an leidenschaftlich geführte Diskussion verstummte keineswegs, sie wurde lauter und nachhaltiger, die Kritik herber. Gegenteiliges zu erwarten, wäre in der Tat lebensfremd gewesen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, von dem bedeutenden französischen Politikwissenschaftler, Raymond Aron, stammt das Wort: Die Diktatur organisiert den Enthusiasmus, die Demokratie organisiert die Kritik. Folglich konnten gerade die Befürworter dieses Erinnerungszeichens, die hierin "ein Demokratiedenkmal" sehen, beim besten Willen nicht erwarten, dass ihnen alle bedingungslos zujubeln, sich hier eine "Einheitsmeinung" bilden würde. Zeichnet sich das Demokratieverständnis gerade doch dadurch aus, dass eine bestimmte Meinung nicht heiliggesprochen und zur Pflichtgesinnung erklärt wird.

Heine sehr geehrten Damen und Herren, politische Mehrheitsentscheidungen bleiben diskussionsfähig. Überhaupt, wie vermessen, wie töricht wäre es, - und ich sage das unabhängig von diesem Vorgang - politische Mehrheit, wo immer sie geübt, wie immer sie sich zusammensetzt, als Synonym für alleinige politische Wahrheit oder gar unumstößliche Weisheit zu werten.

Und doch, in einer Demokratie gilt die politische Mehrheitsmeinung. Eine Stimme Mehrheit schreibt zwar keine Geschichte, sie ist aber berechtigt, eine demokratische Entscheidung in Gang zu setzen. Eben das ist seit 1978 in diesem Bereich geschehen. Die politische Entscheidung wurde .in die Praxis umgesetzt.

Gerade das müssen die zahlreichen Gegner dieses Erinnerungszeichens, aus welchen Gründen auch immer, und ob organisiert oder nicht, verstehen. Auch sie können darüber hinaus nicht erwarten, dass man vor ihrer Auffassung kapituliert.

Für Gegner wie Befürworter gilt gleichermaßen die Feststellung, dass die Stärke des demokratischen Staates in der Meinungsvielfalt liegt, die er erträgt und die Ihn trägt, die Stärke des Demokraten in einem Selbstbewusstsein, das sich durch Toleranz äußert. Tolerant ist aber nicht schon der, der Toleranz nur von anderen erwartet, sondern nur der, der bereit ist, sie zunächst selbst zu gewähren.

Das gilt mit Sicherheit auch und gerade stets für die offiziellen Vertreter einer Stadt. So gesehen erklärt sich auch meine bereitwillige Übernahme der heutigen Aufgabe.

Niemand, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann und wird erwarten, dass dieses Erinnerungszeichen zur „Kultstätte" wird. Als gute Demokraten sollten wir es allerdings annehmen als Verpflichtung, verstärkten Umfangs über die eigene geschichtliche Entwicklung und ihre Konsequenzen nachzudenken.

In diesem Sinne hoffe ich, dass es die Kieler letztlich doch vereint und nicht trennt. Ich hoffe und wünsche, dass insbesondere die nachfolgende Generation unbefangener sich an einem Kunstwerk erfreuen wird, als das manche der heute hier Lebenden noch tun können.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang dem hier anwesenden Künstler auf jeden Fall herzlich für dieses geschaffene Werk danken.

Es mag letztlich auch an die Menschen erinnern, die Anfang November 1918 auf beiden Seiten ihr Leben ließen und damit auch zugleich Mahnmal sein.

Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, in einem sind wir uns doch alle einig: Politische Veränderungen, wie immer sie aussehen, sollten in Zukunft nur auf friedlichem Wege möglich und machbar sein.