EHRENBÜRGERSCHAFT ABERKANNT
Erich Raeder (1876 - 1960)

Erich Raeder | Abbildung: Stadtarchiv Kiel 5.2 Schäfer 11694

Großadmiral, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine

* 24.04.1876 Wandsbek
06.12.1960 Kiel

Verleihung 1934, durch Beschluss vom 27.12.1945 aberkannt

Erich Raeder wurde am 24. April 1876 in Wandsbek bei Hamburg geboren. Nach dem Abitur 1894 trat er als Kadett in die Kaiserliche Marine ein, bestand 1897 die Seeoffiziersprüfung mit Auszeichnung, wurde im selben Jahr zum Unterleutnant und 1900 zum Oberleutnant befördert. 1903-1905 besuchte Raeder die Marineakademie in Kiel, anschließend erfolgte die Ernennung zum Kapitänleutnant. Den größten Teil seiner Dienstzeit verbrachte Raeder auf Schiffen, die in Kiel beheimatet waren, bzw. bei Kommandobehörden in Kiel oder Berlin. 1911 wurde er Korvettenkapitän.

Bei Beginn des Ersten Weltkrieges tat Raeder Dienst auf S.M.S. „Seydlitz“ als erster Admiralstabsoffizier beim Befehlshaber der Aufklärungsstreitkräfte. In dieser Stellung nahm er teil an Gefechten und Kriegsunternehmungen der Schlachtkreuzer, u. a. auf der Doggerbank und an der Skagerrakschlacht. In Anerkennung seiner Verdienste bei dieser Schlacht erhielt er das preußische Ritterkreuz mit Schwertern. Im letzten Kriegsjahr führte er als Fregattenkapitän den Kreuzer „Köln“.


Loyal gegenüber jeder Regierung

Raeder war in seiner politischen Einstellung monarchisch-konservativ, verhielt sich aber der jeweiligen Regierung gegenüber loyal, sowohl in der Weimarer Republik als auch im Nationalsozialismus. Er war der Auffassung, dass die Wehrmacht sich aus jeder Art Parteipolitik heraushalten und in einer „unbedingten Treue gegenüber dem Staat und seiner vom Volk gewählten Regierung“ stehen müsse.

1922 wurde Raeder zum Konteradmiral und gleichzeitig zum Inspekteur des Bildungswesens der Marine und 1925 als Vizeadmiral zum Chef der Marinestation der Ostsee ernannt. Von 1928-1935 war er als Admiral Chef der Marineleitung und 1935-1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine. 1939 erhielt er den Titel Großadmiral. Aufgrund seiner politischen Einstellung hatte Raeder kein Problem „im Jahre 1933 die Marine geschlossen und reibungslos dem Führer in das Dritte Reich zuzuführen“ (Raeder, Ansprache vor Offizieren des OKM am 30. Januar 1943).
 


In Kontroverse zu Hitler wegen der Kriegsführung

Hitler rechnete in seinem Eroberungskrieg mit den Hauptfeinden Sowjetunion und Frankreich. Verbündete Deutschlands sah er in England und Italien. Er wollte dadurch freie Hand im Osten haben, um dort „Lebensraum“ zu erobern. Mit dem deutsch-englischen Flottenabkommen von 1935, durch das die deutsche Marine auf 35 Prozent der britischen beschränkt wurde, hoffte Hitler, den englischen Bedürfnissen entgegenzukommen.

Raeder musste das akzeptieren, obwohl er der Meinung war, dass nur eine Seemacht auch Weltmacht werden könne. „Die Skala der Weltgeltung der Nation ist identisch mit der Stärke seiner Seemacht“ (Raeder). Raeder, der maßgeblich am Aufbau der deutschen Marine beteiligt war, sah also die Notwendigkeit einer schlagkräftigen deutschen Flotte.

Eine Wende in Hitlers Marinepolitik setzte 1938 ein, als klar war, dass England auf Seiten der Gegner Deutschlands stehen würde. Nun wurden auf Initiative Raeders beschleunigt Schlachtschiffe gebaut. Aber die deutsche Marine blieb der englischen und auch der französischen deutlich unterlegen, so dass Raeder beim Eintreffen der westlichen Kriegserklärung nur erklärte, die deutsche Flotte bzw. „das Wenige, was fertig ist oder noch kriegsbereit wird, [könne] nur anständig kämpfend untergehen.“

Raeders Konzept, den Seekrieg bevorzugt durch große Schlachtschiffe und weniger durch U-Boote zu führen, hatte hohe Verluste an Menschen und Schiffen zur Folge, die sich bis 1942 steigerten. Hitler in seiner Wut kündigte die Verschrottung der Überwasserschiffe an. Raeder fühlte sich dadurch gekränkt und bat 1943 um seinen Abschied. Den Oberbefehl über die Kriegsmarine erhielt Karl Dönitz, der bisherige Befehlshaber der U-Boote. Hitler hatte damit die Hoffnung, den U-Bootkrieg wieder zu beleben.

 

Ehrendoktor der Universität, Ehrenbürger der Stadt Kiel

Raeder wurde durch eine große Zahl militärischer Orden und anderer Auszeichnungen im In- und Ausland geehrt. Am 31. Mai 1926, zehn Jahre nach der Skagerrakschlacht, erhielt er für sein Werk „Der Kreuzerkrieg in ausländischen Gewässern“ den Ehrendoktor der philosophischen Fakultät der Universität Kiel.

Im April 1934 verlieh die Stadt Kiel Admiral Dr. phil. h. c. Erich Raeder das Ehrenbürgerrecht „in Anerkennung seiner großen Verdienste um den Wiederaufbau der deutschen Reichsmarine und um das wirtschaftliche Erstarken der Stadt Kiel.“

 

Verurteilt in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen

Im November 1945 wurde Raeder, der von sowjetischen Truppen gefangen genommen und nach Moskau gebracht worden war, vor dem internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg angeklagt.

Man warf ihm vor, die Anordnung des Baus von großen Schiffen veranlasst zu haben, die die Höchsttonnage, wie sie im Versailler Friedensvertrag und im deutsch-britischen Flottenabkommen festgelegt worden waren, überschritt. Er galt außerdem als Urheber, der die deutsche Invasion in Norwegen befürwortet und Hitler zu einem Angriffskrieg gegen England im Mittelmeerraum drängt hatte.

Im Oktober 1946 wurde Raeder wegen Verbrechen gegen den Frieden und wegen Planung und Durchführung eines Angriffskrieges zu lebenslanger Haft verurteilt, 1955 aber aus gesundheitlichen Gründen entlassen.

 

Verzicht auf das Ehrenbürgerrecht

Im Dezember 1945 wurden Raeder und Hitler durch Beschluss der Ratsversammlung das Kieler Ehrenbürgerrecht aberkannt. Am 1. März 1956 gab Oberbürgermeister Dr. Hans Müthling aber bekannt, dass der Kieler Magistrat nach Prüfung zu dem Ergebnis gekommen sei, „dass das Ehrenbürgerrecht [Raeders] im Rechtssinne nicht aberkannt ist“, denn es habe 1945 die Genehmigung der Aufsichtsbehörde, das heißt des Oberpräsidenten, gefehlt. Von daher sei der Beschluss der Ratsversammlung vom Dezember 1945 in Bezug auf die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft Raeders unwirksam.

Die SPD-Fraktion der Ratsversammlung, die SPD insgesamt und auch die Gewerkschaften protestierten gegen diese Rechtsauffassung. Kritische Stimmen gab es auch in anderen Teilen der Bundesrepublik und im Ausland, besonders in den nordischen Ländern. Der dänische Ministerpräsident sagte sogar seine Teilnahme an der Kieler Woche ab.

In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, ob Adolf Hitler, dem an dem selben Tag wie Raeder die Ehrenbürgerschaft aberkannt worden war, nun auch wieder als Kieler Ehrenbürger zu betrachten sei. Ein Sprecher des Rathauses betonte, dass beide Fälle nicht zu vergleichen seien. Denn „nach unbestrittener Rechtsauffassung sei das Ehrenbürgerrecht ebenso wie das allgemeine Bürgerrecht ein reines Persönlichkeitsrecht, das mit dem Tode des Trägers von selbst erlischt. Eine förmliche Aberkennung der Ehrenbürgerschaft Hitlers sei deshalb im Dezember 1945 durch die Ratsversammlung überhaupt nicht mehr möglich gewesen.“

Um die Wogen der Empörung zu glätten, schaltete sich der Bundespräsident ein und veranlasste Raeder, auf die Ehrenbürgerschaft zu verzichten. In seinem Brief vom 14. April 1956 an den Kieler Oberbürgermeister heißt es: „Für Ihre Erklärung vom 1. März 1956 betreffend meine Ehrenbürgerschaft danke ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern verbindlich. Ihre Annahme würde für mich und die Marine an sich möglich gewesen sein. Ich würde aber nach nochmaliger Abstimmung auch bei einem positiven Ausgang mich nicht zur Wiederaufnahme entschließen können, da ich es nach den inzwischen erlebten Vorgängen nicht als Ehrung meiner Person und der Marine ansehen kann, weiterhin Ehrenbürger der Stadt Kiel zu sein.“

Raeder wohnte nach seiner Entlassung aus Spandau zunächst in Lippstadt, zog dann nach Kiel, wo er am 6. November 1960 starb. Er wurde auf dem Nordfriedhof beigesetzt. Die Grabrede hielt der ehemalige Großadmiral Dönitz, der Nachfolger Raeders als Oberbefehlshaber der ehemaligen Kriegsmarine.


Text: Christa Geckeler


Literatur & Zeitungen

  • Stadtarchiv Kiel Akte Nr. 34463: Ehemaliger Ehrenbürger Raeder
  • Stadtarchiv Kiel Akte Nr. 33679: Zeitungsausschnitte zum Thema Ehrenbürger Raeder
  • Deutsche Biographische Enzyklopädie, Band 8, München 1998, Seite 120
  • Dülffer, Jost: Wilhelm II. und Adolf Hitler. Ein Vergleich ihrer Marinekonzeption, in: Kiel, die Deutschen und die See, hrsg. von Jürgen Elvert, Jürgen Jensen, Michael Salewski, Stuttgart 1992, Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 25, Seite 49-69
  • Duppler Jörg: Revision oder Weltmachtstreben? Maritimes Denken in der nationalsozialistischen Zeit, in: Kiel, die Deutschen und die See, a. a. O. Seite 71-87
  • Flensburger Tageblatt vom 9. März 1956
  • Hamburger Tageblatt vom 16. März 1956
  • Kieler Nachrichten vom 2. März 1956, vom 16. April 1956, vom 7. November 1960
  • Norddeutsches Echo vom 16. April 1956
  • Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung vom 2. März 1956, vom 8. März 1946, vom 14. März 1956, vom 8. November 1960
  • Welt der Arbeit vom 16. März 1956