Toni Jensen
Geboren am 25. September 1891 in Tönning/Eider
Thomasine Margarete Jensen, genannt Toni, gehört zu den namhaften Persönlichkeiten der Kieler Stadtgeschichte und ist, ähnlich wie Ida Hinz, eine der wenigen Frauen, denen in der Geschichtsschreibung eine größere Bedeutung beigemessen wird.
Das Kiel der Nachkriegszeit verdankt Toni Jensen vor allem eine Erneuerung des Bildungssystems mit dem Bestreben, Chancengleichheit für alle zu ermöglichen.
Toni Jensen verbringt die ersten Lebensjahre als ältestes von sechs Kindern in Tönning; später folgt der Umzug nach Kiel, wo ihr Vater als Oberwerkmeister auf der Germania-Werft Arbeit findet. Früh muss sich Toni an der Erziehung ihrer Geschwister und im Haushalt beteiligen. Dennoch kann sie nach der Volksschule die Erste Mädchen-Mittelschule in Kiel besuchen und an der Präparanden-Anstalt in Augustenburg, auf der heute dänischen Insel Alsen, 1911 ihr Examen als Volksschullehrerin ablegen.
Zunächst nimmt sie für fünf Jahre eine Stelle in Gelsenkirchen an. Ab 1915 findet sie dann bis 1933 mehrere Anstellungen an Kieler Volksschulen. Sie tritt der SPD bei, engagiert sich von 1919 bis 1924 als sozialdemokratische Stadtverordnete und schreibt regelmäßig Artikel für die Kieler Volkszeitung. Als 1921 die Arbeiterwohlfahrt in Kiel gegründet wird, übernimmt sie das Amt der ersten Vorsitzenden.
Von 1921 bis 1933 sitzt Toni Jensen als Abgeordnete für Kiel im preußischen Landtag; inhaltliche Schwerpunkte sind Frauen- und Bildungspolitik sowie gleiche Bildungschancen für alle Menschen. Als Mitglied des zentralen sozialdemokratischen Parteiausschusses und Mitglied des Bezirksvorstands Schleswig-Holstein nimmt Toni Jensen an den Parteitagen und Frauenkonferenzen teil. Hier ist sie entscheidend an bildungs- und kulturpolitischen Entwicklungen beteiligt. Es ist Toni Jensen zu verdanken, dass 1926 eine der drei in Preußen neu zu gründenden Pädagogischen Akademien ihren Sitz in Kiel bekommt.
1928 zählt Toni Jensen zu den GründerInnen der Gesellschaft der Freunde der Arbeitervolkshochschulen und amtiert bis 1933 als deren Vorsitzende. In diesem Zusammenhang unterstützt sie die Errichtung der Arbeitervolkshochschule Harrisleefeld bei Flensburg. Ziel der Internats-Volkshochschule ist es, jungen Menschen aus der Arbeiterklasse die fehlende Bildung zukommen zu lassen.
1933 kommt es beinahe zur Ernennung Toni Jensens zur ersten Oberpräsidentin Preußens, was der heutigen Ministerpräsidentin entspricht. Nicht nur diese Ernennung scheitert an der Machtübernahme der Nazis, sondern Toni Jensen wird auch aus allen Ämtern entfernt und erhält das Verbot jeglicher politischer Betätigung. Sie meldet sich zurück in den Schuldienst, wird beurlaubt und schließlich auch aus dem Beamtenverhältnis entlassen.
Danach zieht sich Toni Jensen aus dem gesellschaftlich-öffentlichen Leben zurück. Während ihrer „inneren Emigration“ unterrichtet sie nun Privatschüler in Englisch, Französisch und Latein. Zudem bestreitet sie ihren Lebensunterhalt als Privatsekretärin.
1935 geht sie auf Einladung amerikanischer KollegInnen in die USA, um dort Einrichtungen der Erwachsenenbildung kennen zu lernen. Anschließend folgt sie einer Einladung von LehrerInnenorganisationen nach Großbritannien und beschäftigt sich besonders in Birmingham und Manchester mit neuen Einrichtungen der englischen Volksschule.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kehrt Toni Jensen 1945 nach Kiel zurück und stellt sich sofort für den Wiederaufbau der zerstörten Stadt zur Verfügung. Im Dezember 1945 wird sie von der britischen Militärregierung zum Mitglied der Kieler Ratsversammlung und zur Vorsitzenden der Kommission Schule und Kultur ernannt. Ab Februar 1946 leitet Toni Jensen zunächst als Städtische Schulrätin, einen Monat später als Städtische Oberschulrätin das Schul- und Kulturamt der Stadt Kiel. Ab April 1947 übernimmt sie das Dezernat für Schule und Kultur.
Der Wiederaufbau und die Erneuerung beziehungsweise Modernisierung schulischer und kultureller Einrichtungen sind in Umfang, äußerer Gestalt und innerer Struktur im Wesentlichen Toni Jensen zu verdanken. 1949 legt sie den Grundstein für die erste im Pavillonstil entworfene Schule, die Kieler Goethe-Schule, und begründet damit eine pädagogisch fortschrittliche Bauweise.
Unter ihrer Regie wird das im Krieg zerstörte Opernhaus neu aufgebaut und 1951 der Kieler Kultursenat ins Leben gerufen, der unter anderem die Statue Der Geistkämpfer des von den Nationalsozialisten als „entartet“ bezeichneten Künstlers Ernst Barlach nach Kiel zurück holen lässt.
Bei Toni Jensens Ausscheiden aus dem aktiven Dienst 1956 ist dank ihres überzeugten, zielstrebigen Handelns der Schichtunterricht an fast allen Kieler Schulen abgeschafft. Sie erhält die Ehrenplakette der Industrie- und Handelskammer für die Errichtung einer Höheren Wirtschaftsfachschule.
Von 1959 bis 1970 ist sie erneut als Ratsherrin und unbesoldete Stadträtin in Kiel tätig, als ehrenamtliches Mitglied des Magistrats übernimmt sie das Dezernat für die Fach- und Berufsschulen, und sie gestaltet aktiv die Arbeit des Landeserziehungsbeirats Schleswig-Holstein mit. Die Erwachsenenbildung und der sogenannte Zweite Bildungsweg mit den dazu gehörenden Bildungseinrichtungen sind Kernpunkt ihrer politischen Ausrichtung. Die Gleichstellung der Frau ist selbstverständlicher Grundpfeiler im Leben Toni Jensens. Aus dieser Haltung heraus leitet sie die sozialdemokratische Frauenagitation in Schleswig-Holstein.
Toni Jensens erklärtes Ziel, Ganztagsschulen in Kiel einzurichten, kann während ihrer Dienstzeit nicht mehr verwirklicht werden. Allerdings wird zum Schulbeginn 1970/1971 die Toni-Jensen-Schule als erste Ganztagsschule in Kiel eingeweiht. Toni Jensen, die nie geheiratet hat und kinderlos bleibt, hat gerade für Kinder und Jugendliche entscheidende Verbesserungen und Fortschritte in der Kultur- und Bildungspolitik bewirkt. Sie hat dazu beigetragen, dass das öffentliche Bewusstsein für die Notwendigkeit von „gleichen Bildungschancen für alle“ entwickelt und geschärft wird.
Am 20. Oktober 1970 stirbt die beliebte, durchsetzungsfähige und fortschrittliche Kommunalpolitikerin im Alter von 79 Jahren in Kiel.
(aus: Nicole Schultheiß: "Geht nicht gibt's nicht ..."
24 Portraits herausragender Frauen aus der Kieler Stadtgeschichte. Kiel 2007)