NACHHALTIGES KIELWir machen Zukunft
In Kiel gibt es viele engagierte Menschen, die sich mit guten Ideen und viel Tatendrang dafür einsetzen, dass unsere Fördestadt nachhaltig und zukunftsfähig wird.
Jeden Monat stellen wir eine*n Kieler Zukunftsmacher*in in einem Kurzinterview vor. Sie kennen Leute, die unbedingt dazugehören? Dann lassen Sie uns das gerne wissen.
Februar 2023 Ute Diez - Bildende Künstlerin
Was hat Dich nach Kiel geführt?
Ich bin zum Studieren nach Kiel gekommen. Ich wollte an einer Kunsthochschule Bildende Kunst studieren, mein in Berlin an der Humboldt-Universität begonnenes Studium der Philosophie aber nicht aufgeben. Die Kombination Muthesius Kunsthochschule und Christian-Albrechts-Universität hat mich überzeugt. Um ehrlich zu sein, wollte ich hier schnellstmöglich wieder weg. Vor siebzehn Jahren war die Stadt noch nicht so attraktiv. Aber irgendwie zieht sie einen dann doch in ihren Bann. Insbesondere die Menschen hier verursachen dieses Heimatgefühl.
Was genau machst Du?
Ich arbeite als Bildende Künstlerin vorwiegend mit öffentlichen und halböffentlichen Räumen. Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum sind meine Schwerpunkte. Mir ist es sehr wichtig, möglichst viele Menschen für die Kunst zu begeistern. Deswegen arbeite ich so „praxisnah“. Dies ist einer der Gründe für mein Projekt SICHT_FELDER. Das sind Tafeln mit künstlerischen Reliefs, die an Aussichtspunkten aufgestellt werden. Auf ihnen ist die jeweilige Aussicht zum Tasten abgebildet.
Außerdem ist in jedes Motiv anstelle des Wassers Brailleschrift, also Blindenschrift, integriert, die poetische Texte und Textfragmente zum Ort enthält. Da werden auch schon mal Sagen, Anekdoten oder Historisches angerissen; allerdings derart frei und künstlerisch angeordnet, dass viel Raum zum Selbstdenken da ist. An jeder Tafel ist ein QR-Code angebracht, der auf eine barrierefreie Homepage führt, die sowohl Informationen zum Projekt und auditive Elemente als auch die Standorte aller SICHT_FELDER enthält.
Die Auseinandersetzung mit dem fehlenden Sehsinn ist für mich als Künstlerin inzwischen zu einer Art Forschungsthema geworden. Denn die Bildende Kunst lässt sich zu großen Teilen vorwiegend „sehend“ rezipieren. Auch wenn es seitens großer Ausstellungshäuser inzwischen Möglichkeiten für Blinde gibt, Kunst kennenzulernen, ist die Kunst selbst - aber auch ihr Umgang damit („bitte nicht berühren“) - eine Erschwernis bis hin zum Ausschluss an der Teilhabe Nichtsehender. Mich interessieren dabei Dinge, wie die verschiedenen menschlichen Sinneswahrnehmungen und einer Art Übersetzbarkeit zwischen ihnen.
Der Begriff der Zentralperspektive beispielsweise ist gar nicht so leicht zu vermitteln. Aufgrund meiner bisherigen, zugegebenermaßen immer noch anfänglichen, Erfahrungen wurde ich für die aktuelle Ausstellung „Chanukka 1931 – Rahel Posners Foto erzählt“ mit einem Tastbild beauftragt, das noch einmal ganz andere Herausforderungen bot, wie beispielsweise die Tatsache, dass Glas zwar ein Hindernis darstellt aber dennoch durchsichtig ist. Diese unterschiedlichen Fragestellungen führen auch immer wieder zur Zusammenarbeit mit großartige Spezialist*innen unterschiedlichster Gewerke, ohne die sich solche Ideen gar nicht umsetzen ließen.
Welche SDGs sind von Deinem Engagement besonders berührt?
SDG 4 Hochwertige Bildung
Das SDG 4 ist in meiner Arbeit ein zentraler Punkt. Bildung, die inklusiv und gleichberechtigt ist, sollte immer auch hochwertig sein. Streng genommen geht es darum, trotz vermeintlicher Barrieren keine Abstriche bei der Vermittlung zu machen, sondern sich zu überlegen, wie man diese überwinden kann und zu einem annähernd gleichen Ausgangspunkt dabei kommt. Dies kann selbstverständlich aus meiner Sicht nur auf der Angebotsseite passieren. Man kann also versuchen, maximal zu begeistern.
Annehmen muss es allerdings jede*r für sich selbst. Die Blinden, die ich kennengelernt habe, sind zunächst einmal positiv eingestellt und grundsätzlich dankbar, dass es neue Angebote gibt. Neben der Neugierde gibt es natürlich häufig auch eine gewisse Skepsis und an bestimmten Dingen auch Kritik. Diese versuche ich aufzunehmen und teilweise nachzubessern. Damit ein Gegenstand tastbar ist, muss er beispielsweise vereinfacht dargestellt werden.
Aber: Es gibt Bereiche, die für mich als Künstlerin indiskutabel bleiben, wenn ich künstlerische Prozesse vermitteln möchte. Nicht jede*r kann mit dem künstlerischen Ansatz etwas anfangen, den Text ins Wasser zu integrieren und poetisch zu fragmentieren. Aber ich möchte eben zeigen, dass Bildende Kunst nicht nur Abbild ist, sondern immer auch Raum zum Denken lässt
SDG10 Weniger Ungleichheiten
Im SDG 10 ist von weniger Ungleichheiten und Gewährleistung der Chancengleichheit unter anderem durch Förderung sozialer Inklusion die Rede. Inklusiv sind die SICHT_FELDER meines Erachtens auch deshalb, weil Sehende sie entdecken können und unvermittelt mit dem Umstand konfrontiert werden, dass nicht alle an dem für sie vielleicht beinahe banalen Erlebnis „Aussicht“ teilhaben können. Das ist häufig ein schöner Moment der Erkenntnis.
Es kommen dann aber auch Leute zu mir und sagen: „Ich kann aber gar keine Brailleschrift lesen. Dann bleibt mir ja etwas verwehrt.“ Und ich denke: „Ja, vielleicht hast Du jetzt verstanden, was es heißt, nicht teilhaben zu können.“ Aber selbstverständlich kann man den Text auf der Homepage nachhören und wird somit wieder integriert. Die meisten Menschen reagieren allerdings sehr positiv. Sätze wie „Darüber habe ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht.“ machen mich glücklich. Das ist das schönste Feedback.
SDG 11 Nachhaltige Städte und Gemeinden
Ich habe natürlich ein Interesse daran, so viele Tafeln wie möglich im öffentlichen Raum aufzustellen und sie weiterzuentwickeln. Zurzeit gibt es welche in Kiel, Lübeck und Hamburg. Es gibt einfach zu viele schöne Aussichten, die ich übersetzen möchte. Es liegt wahrscheinlich in den künstlerischen Genen, das Gefühl beim Betrachten von Landschaften festhalten zu wollen. Ich glaube, dass eine leichtere Zugänglichkeit zur Kunst für alle durch das Aufstellen weiterer SICHT_FELDER an vielen Orten im Sinne des SDG 11, die Städte und Gemeinden inklusiver und nachhaltiger machen würde.
SDG 16 Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
Die in SDG 16 angesprochene friedliche und inklusive Gesellschaft kann meines Erachtens nur funktionieren, wenn wir Verständnis füreinander und für unsere jeweilige Andersartigkeit haben. Seit einiger Zeit schon mache ich Versuche mit unterschiedlichsten Materialien, um eine Art Unsichtbarkeit der Reliefstruktur zu erreichen. In Hamburg habe ich beispielsweise auch eine Kunststofftafel in perlweiß aufgestellt, auf der man auch als sehender Mensch nichts mehr vom Motiv erkennt.
Es war umgehend zu beobachten, dass sich automatisch jeder tastend an das Objekt gestellt hat. Wenn also Menschen ohne Einschränkung ihrer Perspektive ändern und es nicht automatisch anders herum verlangen, können wir alle viel voneinander lernen.
Warum findest Du Nachhaltigkeit wichtig?
Nachhaltigkeit wird ja meistens mit Klimaschutz gleichgesetzt. Dieser hat auch in meinen Augen zurzeit oberste Priorität. Allerdings geht damit natürlich gleichzeitig die Frage einher, wie die Zukunft aussehen soll, die wir erhalten wollen. Ich glaube ganz fest daran, dass Gleichberechtigung und ein möglichst verständnisvolles Miteinander dazu führen können, gemeinsam den existenziellen Fragen mit Lösungen zu begegnen.
Kiel 2030 - Was ist Deine Vision für unsere Stadt?
Neben den wirklich existenziellen Wünschen wie Frieden, Freiheit und die Rettung der Umwelt wünsche ich mir für Kiel weitere inklusiv künstlerische Angebote, aber vor allem auch eine entsprechende Infrastruktur. Ich selbst kann ein SICHT_FELD über die Homepage mittels GPS auf einen Meter genau ansteuern lassen. Dennoch müsste es schlussendlich auch ein entsprechendes Aufmerksamkeitsfeld drumherum geben, damit die angesprochene Zielgruppe dieses auch autark erreichen kann.
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Stefanie.Skuppin@kiel.de
Frauke Wiprich
Leiterin des Sachbereichs Internationales und Nachhaltigkeit
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