Prof. Johanna Mestorf

Foto Johanna Mestorf
Johanna Mestorf | Foto: Stadtarchiv Kiel

Geboren am 15. April 1828 in Bramstedt (heute Bad Bramstedt)

Johanna Mestorf zählt zu den bekanntesten gelehrten Persönlichkeiten Schleswig-Holsteins.

Die Kieler Schriftstellerin und Prähistorikerin gewinnt bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, als Autodidaktin ohne Fachstudium, Reputation auf dem Gebiet der Volkskunde und Archäologie.

Johanna Mestorf ist die erste Frau Preußens, die als Direktorin ein Universitätsinstitut mit Museum leitet.

Sie wird als viertes von insgesamt neun Kindern am 15. April 1828 in (Bad) Bramstedt (Holstein) geboren. Zeitlebens gibt sie jedoch den 17. April 1829, den Tag ihrer Taufe, als Geburtsdatum an, so dass sich in der Literatur zumeist das falsche Datum findet. Ebenso besteht sie ihr Leben lang ausdrücklich auf der Anrede „Fräulein“. Schon als Kind, vermutlich durch die archäologischen Studien ihres Vaters und dessen umfangreiche Sammlung von Altertümern beeindruckt, entwickelt Johanna Mestorf großes Interesse an der Archäologie.

Als der Vater 1837 stirbt, ist Johanna neun Jahre alt. Für die Familie beginnt eine Zeit der wirtschaftlichen Bedrängnis und des Leids: Vier Geschwister sterben. Dennoch gelingt es der Mutter, drei Töchtern eine solide Schulbildung zu ermöglichen. Schulbildung, Begabung und Begeisterung legen den Grundstein für das spätere Selbststudium Johanna Mestorfs. Das Selbststudium ist im 19. Jahrhundert der übliche Weg für Frauen, die sich nicht mit dem vorgegebenen Weg „Küche, Kirche, Kinderstube“ begnügen wollen.

Als 20-Jährige zieht Johanna Mestorf zunächst als Erzieherin und Gesellschafterin zur Familie des Grafen Piper-Engsö nach Schweden. Während des fünfjährigen Aufenthaltes dort erhält sie zahlreiche geistige Anregungen, besonders auf dem Gebiet der nordeuropäischen Altertumskunde. Sie erlernt nordische Sprachen und macht sich mit der Archäologie Germaniens vertraut. In diesen Jahren hat sie auch persönliche Begegnungen mit Verfassern bekannter Werke über skandinavische Archäologie.

1853 geht Johanna Mestorf als Begleiterin einer mit der Familie Piper-Engsö verwandten Gräfin nach Italien, wo sie ihr Wissen über Sprachen und Kulturen Südosteuropas erweitert, bis sie 1859 ihren Wohnsitz bei der Familie eines Bruders in Hamburg nimmt. Dort arbeitet sie als Übersetzerin und überträgt Hauptwerke bedeutender skandinavischer Prähistoriker ins Deutsche.

1866 erscheint Mestorfs Erstlingswerk, der historische Roman Wiebeke Kruse, eine holsteinische Bauerntochter. Sie schreibt Fachartikel, hält eine Reihe von Vorträgen über nordische Mythologie und wird Fremdsprachensekretärin des Lithographischen Instituts C. Adler in Hamburg. Johanna Mestorf tritt der Anthropologischen Gesellschaft bei und gründet später den schleswig-holsteinischen Zweigverein.

Zwischen 1869 und 1876 nimmt Johanna Mestorf im Auftrag des Hamburger Senats an den Internationalen Kongressen für prähistorische Anthropologie und Archäologie in Kopenhagen, Bologna, Stockholm und Budapest teil. Dort lernt sie bekannte und einflussreiche Anthropologen und Archäologen kennen; sie selbst erwirbt sich durch ihre Arbeit den Ruf einer geachteten Forscherin; oftmals ist sie die einzige Frau unter Hunderten von Männern.

Gebäude
Das "Schleswig-Holsteinische Museum vaterländischer Alterthümer" in Kiel 1935 | Foto: Stadtarchiv Kiel

1873 übernimmt Johanna Mestorf die neu geschaffene Stelle des Kustos am Schleswig-Holsteinischen Museum vaterländischer Alterthümer in Kiel, das kurz zuvor als Universitätsinstitut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) angegliedert worden ist. Unterstützung erfährt sie auch durch Rudolf Virchow, den sie in der Anthropologischen Gesellschaft kennen gelernt hat.

Johanna Mestorf, die von Kindheit an körperlich zart und anfällig ist, beschreibt in ihrem Tagebuch, dass die Arbeit als Kustos sie krank mache und gefährde. Ihre schlechte physische Verfassung muss sie mit energischem Willen kompensieren. In den folgenden Jahren veröffentlicht Johanna Mestorf zahlreiche wissenschaftliche Bücher, die in der Fachwelt würdige Beachtung finden.

Im Jahr 1891 folgt die Ernennung zur Direktorin des Schleswig-Holsteinischen Museums vaterländischer Alterthümer. Johanna Mestorf avanciert damit zur ersten Frau Preußens, die an die Spitze eines Universitätsinstituts mit Museum berufen wird. Als Leiterin der ihr anvertrauten Sammlung gelingt es ihr, mit nur geringen zur Verfügung stehenden Mitteln wichtige Unternehmungen und Untersuchungen zu initiieren und zu fördern. Sie sieht es als ihre Aufgabe an, die Hinterlassenschaft unserer Vorzeit zu schützen und vor Zerstörung zu bewahren.

1891 erhält Johanna Mestorf die Ehrenmitgliedschaft in der Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Zu ihrem Geburtstag 1899 verleiht ihr das deutsche Kaiserpaar den Frauenverdienstorden. Im selben Jahr erhält Johanna Mestorf den Professorentitel. Nach einer aus dem Baltikum stammenden Naturforscherin ist sie die zweite Frau Deutschlands, die zum Professor (allerdings ohne Lehrbefugnis) ernannt wird.

Es folgen weitere Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften. Ihre Übersetzungen der wichtigsten Werke führender skandinavischer Prähistoriker haben die Entwicklung der deutschen Urgeschichtsforschung beträchtlich mitbestimmt; die Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte ernennt sie daher 1909 zum Ehrenmitglied. Neben der Medaille für Kunst und Wissenschaft zum 75. Geburtstag erhält sie zum 80. Geburtstag den Ehrendoktortitel der Medizinischen Fakultät der Kieler Universität.

Johanna Mestorf tritt am 1. April 1909 als Direktorin des Universitätsinstituts zurück. Ihr Vorhaben, die Geschichte des Schleswig-Holsteinischen Museums vaterländischer Alterthümer zu schreiben, kann sie nicht mehr verwirklichen, da sie vier Monate später stirbt.

Sie stirbt am 20. Juli 1909 in Kiel im Alter von 81 Jahren.

1979 wird eine Straße auf dem Kieler Universitätsgelände, 2004 die Grundschule in Kiel-Neumeimersdorf nach Johanna Mestorf benannt. 1999 würdigt das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel die große Prähistorikerin mit einer internationalen Tagung über „Werk und Wirkung Johanna Mestorfs“.



(aus: Nicole Schultheiß: "Geht nicht gibt's nicht ..."
24 Portraits herausragender Frauen aus der Kieler Stadtgeschichte. Kiel 2007)